Liebe Mitveranstalter des 5. MGG, 09. Mai 2020
Jetzt ist das Protokoll/die Beschreibung des Fünften Marburger Gesundheitsgespräches endgültig fertig geworden.
Nochmals danke ich Allen, die an der Erstellung dieses Textes teilgenommen haben.
Das Protokoll ist als Anlage beigefügt worden. Es wurde erstellt von den Studentinnen der Vorklinik Martha Langer und Denis Lueck. Beide waren Teilnehmerinnen des Seminares Beziehungsmedizin Transgenerationell - Wahlpflichtseminar Klinik für Vorkliniker. Die Lerngegenstände für die Veranstaltungen 1 bis 12 sind auf meiner Homepage nachlesbar („für Studierende“). Sie entstanden im Lauf einer 25jährigen Vorgeschichte seit ca 1995. Die Technik ihrer Vermittlung beruht auf dem Prinzip der Anamnesegruppen wie sie in Ulm und Marburg 1969/70 bis 1978 entstanden, um sich im Deutschsprachigen, z.T. auch in Frankreich und Dänemark auszubreiten; Schüffel, Wolfram(1983): Sprechen mit Kranken – Erfahrungen studentischer Anamnesegruppen; Urban&Schwarzenberg, Mchn. (vgl auch Interview zu Querverbindungen mit Psychosomatischer Grundversorgung in der LÄKH).
Ebenfalls als Anlage findet sich die Parabel des Trialoges. Sie wurde von Frau Dr. med. Splettsen (Bad Homburg) erstellt und ist eine Weiterentwicklung der Parabel des Gesundheitsgespräches, wie sie in den Wartburggesprächen eingesetzt wurde und dann in den Marburger Gesundheitsgesprächen 1 bis 5 übernommen wurde..
Mit den besten Grüßen
Ihr Prof. em. Dr. med. Wolfram Schüffel
Protokoll – 5. Marburger Gesundheitsgespräch
Corona – das unter die Haut geht; die Haut, die mich umhüllt
digital, Samstag, 09. Mai 2020; 08.40 bis 17.00 Uhr www.schueffel.eu/informationen
Ort: im virtuellen Raum über eine Zoom-Konferenz, die also meist in den Privaträumen der Teilnehmenden stattfand.
Teilnehmende: 95 zu Beginn und 52 am Ende (aus ganz Deutschland, aus China und Spanien)
Protokollantin 1. Teil: stud. med. Martha Langer
Protokollantin 2. Teil: stud. med. Denise Lück
08:40 Uhr Üben:
Einfinden in das Zoom Programm
Angesichts der derzeitigen Situation mit der COVID-19-Pandemie, häufig schlicht „Corona“ genannt, findet das Gesundheitsgespräch im virtuellen Raum als Zoom-Konferenz statt. Vor dem offiziellen Beginn der online Veranstaltung ist um 08:40 Uhr ein Einfinden in das Zoom-Programm angesetzt. Nach und nach loggen sich immer mehr Teilnehmer ein und es erscheinen mehr und mehr kleine Gesichter auf dem Bildschirm, bis es schließlich 95 Teilnehmer sind. Viele winken und stellen sich fröhlich vor, einige haben noch mit technischen Problemen zu kämpfen, die aber von den beiden studentischen Mitorganisatoren Lena Heitfeld und Nahuel Fernández versiert gelöst werden.
09:00 Uhr
Begrüßung
Den Vorsitz übernehmen stud. med. Jana Springob und Dr. med. Andreas See, Dodenau/Eder (in der Nähe von Battenberg, Landkreis Frankenberg-Waldeck)
Herr Prof. Dr. Wolfram Schüffel, als Entwickler der Wartburggespräche und als Initiator des Marburger Gesundheitsgesprächs, außerdem als ehemaliger Leiter der Klinik für Psychosomatik im Zentrum Innere Medizin der Universitätsklinik Marburg, adressiert Herrn Dr. Thomas Spies, Oberbürgermeister der Stadt Marburg. Herr Spies spricht als Schirmherr der Veranstaltung und Promotor des Aktionsprogrammes „Marburg – Gesunde Stadt“. Der Landkreis Marburg-Biedenkopf und die Universitätsstadt Marburg (Gesunde Stadt Marburg) haben in einem gemeinsamen Prozess die Initiative gegründet „Gesundheit fördern – Versorgung stärken". Landrätin Frau Kirsten Fründt und der OB Dr. Thomas Spies, stehen gemeinsam dieser Initiative vor. Die Marburger Gesundheitsgespräche werden auch von der Landrätin begrüßt und sie wünscht ebenfalls viel Erfolg für unsere Veranstaltung.
Dr. Thomas Spies führt aus: Es gelte in dieser Zeit, Interaktion anders zu gestalten, was auch eine neue Unmittelbarkeit mit sich bringe, und aufeinander aufzupassen, wenn es gefährlich wird. Staatliche Organe müssten in dieser Zeit der Corona-Pandemie den Schutz der Menschen sicherstellen. Sie bemühen sich auch dies zu tun, durch das Aufzeigen von Grenzflächen und dem Gebot, angemessen Abstand zu halten.
- Auch wenn die von der Regierung ergriffenen Maßnahmen vielen als drastisch vorkommen mögen, erinnert Herr Dr. Spies daran, dass sie doch noch weit entfernt seien von dem, was früher in Situationen von Krieg und Krisen unternommen worden sei. Als Bespiel nennt er, dass, als es noch kein Heilmittel für Tuberkulose gab, infizierten Müttern einfach deren Kinder entrissen wurden, um den nötigen Infektionsschutz zu schaffen.
- Des Weiteren spricht Herr Spies die Relation der Todesfälle durch Corona zu den vernachlässigten horrenden Zahlen der Todesfälle z.B. durch Verkehrsunfälle oder Behandlungsfehler an.
- Auch macht er auf das Maschinen-Paradigma aufmerksam, das im Moment den Krankheitsbegriff bestimmt: Ist eine Person mit einem Virus infiziert, gilt sie automatisch als krank. Umgekehrt hat eine Person, die den Virus nicht hat, sich nicht krank zu fühlen. Dies gelte es zu hinterfragen.
- Abschließend weist Dr. Spies auf eine der wichtigsten politischen Fragen während der Corona-Krise hin: „Wer war systemrelevant? Wer wurde anständig dafür bezahlt?“
Ein Klingeln ertönt und unterbricht den Ablauf. Prof. Schüffel wendet sich an Frau Heitfeld und Herrn Fernández, die in einem Telefonat versuchen, noch einer Person in die Zoom-Konferenz zu verhelfen, und betont: „Wir werden uns nicht von draußen stören lassen.“
Nun werden einige Teilnehmer vorgestellt und kommen zu Wort:
Frau Tanja Tosic,Allgemeinärztin, die eine der diesmal drei Gesprächspartner des Gesundheitsgesprächs sein wird, stellt sich vor. Sie komme aus Kassel, FuldatalSimmershausen, und sei gespannt wie es heute ablaufen werde.
Darauf folgt Dr. med. Hartmut Hesse, Vorsitzender der PriMa (Prävention in Marburg) und ursprünglich ebenfalls aus FuldatalSimmershausen, mit seinem Grußworte. Er berichtet von der engen Zusammenarbeit der PriMa mit Apothekern, Krankenkassen und der PsyMa (Psychotherapeuten in Marburg). Er sähe eine Parallele zum Marburger Gesundheitsgespräch: Die wertschätzende und gleichberechtigte Kommunikation miteinander.
Frau Luise von Hutten, die schon lange bei Wartburgesprächen und Marburger Gesundheitsgespräch dabei ist (ob nun reell oder virtuell, wie sie selbst angibt) und Mutter zweier jugendlicher Söhne ist, berichtet, mit Corona sei jetzt alles anders: Denn trotz der verwirrenden und schrecklichen Dinge, die die Pandemie mit sich bringe, habe durch die neue Situation ein neues Kennenlernen in ihrer Familie stattgefunden, und alle seien wieder näher zusammengerückt. Frau von Hutten sagt, das habe sie nicht für möglich gehalten und empfinde das als wundersam.
Zum Abschluss der Begrüßung führt Frau stud.med. Heitfeld noch 4 Hand-Symbole ein, um die „verrückte Situation mit den vielen kleinen Köpfen auf dem Bildschirm“ zu erleichtern und eine Strukturierung der digitalen Kommunikation möglich zu machen: Daumen hoch = alle hören gut bzw. Zustimmung Daumen runter = jemand hört den Sprecher nicht bzw. Verneinung Dach mit den Händen formen = Notfall Arm/Hand heben = Melden bzw. ich möchte etwas sagen Zusätzlich erklärt Herr Fernández die Bedeutung und Benutzung des Mikrofon-Symbols bei Zoom, damit sich alle stummschalten können, die nicht sprechen, um Störgeräusche zu vermeiden.
09:20 Uhr
FE Ankommen und Einstimmen, Bewegen und Atmen
Geleitet durch Silvia Rost (Krankenschwester aus Weimar, Heilpraktikerin für Psychotherapie, Funktionelle Entspannung) und bewegungstherapeutisch mitgetragen durch Dr. Michael Utech (Hannover)
Frau Rost fordert das Plenum auf, bei sich zu Hause vor dem Computer oder Smartphone auf die Stuhlkante vorzurücken, eventuell die Hüften etwas zu bewegen, bewusst die Sitzhöcker auf der Sitzfläche und die eingenommene Position zu spüren. Sie macht noch einmal auf die Besonderheit der Situation aufmerksam: Die Teilnehmer sind durch den digitalen Raum verbunden, aber doch alle bei sich zu Hause. Sie lädt dazu ein, nun bewusst die Füße am Boden zu spüren, in sich hineinzuhorchen und eventuell aufkommenden Bewegungsimpulsen, wie z.B. Aufstehen, zu folgen. Sie leitet nun zum Vortrag über, jeder solle, nachdem er seine Aufmerksamkeit bewusst nach innen gerichtet hat, diese wieder nach außen richten.
09:30 Uhr
Fachvortag: Die Haut in der ich stecke – meine Haut in der ich bin
Prof. Dr. med. Uwe Gieler (Klinik für Dermatologie und Allergologie Universitätsklinikum Gießen, Chefarzt der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie – Vitos Gießen)
Die Haut, das größte und schwerste Organ des Menschen, wird als Grenze zur Außenwelt benannt, die dem Menschen Stabilität gibt – und das ausdrücklich betont nicht nur körperlich, sondern auch psychisch. Das Wort „Haut“ stammt aus dem Indogermanischen und ist mit dem Wort „Haus“ verwandt. Die Haut, die uns umhüllt, und in der wir leben wie in einem Haus, gibt uns also psychische Stabilität, sofern wir uns darin wohlfühlen. In der derzeitigen Situation des Kontaktverbots wegen Corona würden viele Menschen Berührungsarmut erleben, sagt Herr Gieler. Deshalb verstärke sich das Bedürfnis nach Kontakt, Nähe und Normalität, welche die Menschheit aufrecht erhielten. Außerdem brächte die Pandemie Kollateralschäden wie psychische Erkrankungen und vermehrte Gewalt hervor.
Herr Gieler führt ein Zitat von Nathaniel Hawthorne, einem amerikanischen Schriftsteller der Romantik an, um zu verdeutlichen, wie wichtig der Hautkontakt für einen Menschen ist: „Die Streicheleinheiten sind für das Gefühlsleben genau so nötig wie die Blätter an den Bäumen. Ohne sie stirbt die Liebe an der Wurzel.“
Des Weiteren wird die Geschichte von Caspar Hauser angesprochen, die verdeutlicht, dass der Mensch ohne das Erleben von Kontakt zu anderen Menschen besonders in der Kindheit und ohne Hautkontakt zu anderen nicht kommunikationsfähig ist und die Fähigkeit zu sozialer Interaktion verliert. Schon in der 6.-7. Lebenswoche im Mutterleib ist die Haut gut nerval versorgt und wird reagibel. Zum Beispiel bei einer Fetoskopie kann die Haut schon berührt werden und reagieren. Die Berührung ist also eine der ersten Kommunikationsmöglichkeiten des Menschen und hilft ihm, sich zu entwickeln. Die Kraft der Berührung könne also Leben einhauchen wie es die kleine Berührung der Fingerspitzen in Michelangelos Gemälde „Die Erschaffung Adams“ vermag. Auch kann eine Berührung Misstrauen und Unsicherheit beseitigen, so muss der ungläubige Thomas zuerst die Wunde im Leib Christie selbst ertasten, um sich sicher zu sein, dass da wirklich Jesus vor ihm steht. Jedoch wer etwas tastet, muss doch zugleich dabei auch selbst etwas empfinden: Wer etwas erspürt, spürt dabei gleichzeitig auch sich selbst. Die Selbstberührung ist folglich autoreflexiv: Man spürt sich zugleich identisch und differenziert von der eigenen Hand. Diese Differenz im Spüren (nicht im Sehen oder Denken!) begründet das Selbstbewusstsein. Es sei nicht nach Descartes „Cogito ergo sum“ („Ich denke, also bin ich.“), sondern nach Herder: „Ich fühle mich! Ich bin!“ (Böhme 1998).
In der modernen Zeit gäbe es zudem andere Formen von Berührungsmomenten, die auch von physischen Abstandhalten geprägt seien. Dies erschwere die nonverbale Kommunikation durch eine bewusste körperliche Berührung.
Die Haut und das Zeigen darauf kann jedoch auch zur Stigmatisierung instrumentalisiert werden, da eine anders aussehende Haut, zum Beispiel schlicht durch andere Hautfarbe oder durch eine Krankheit wie Vitiligo bedingt, andere abschrecken kann. Ist zum Bespiel auf der Haut eine Krankheit zu erkennen, käme direkt die Frage auf: „Ist das infektiös?“ Wir trügen unsere Gesundheit buchstäblich auf der Haut, sagt Prof. Gieler. Und diese Haut trüge der Mensch zu Markte. Es geht hier um die Selbstwahrnehmung und wie man sich anderen präsentiert: Man denke an Schönheitsideale und die Modebranche, wo jeder Pickel sofort wegretuschiert wird.
Die Haut spiele außerdem als sexuelles Organ eine wichtige Rolle und nehme auch in der Entwicklungspsychologie eine wichtige Rolle ein. Freud teilt die Entwicklung in die Orale Phase, Anale Phase und Ödipale Phase. Schulz stellt diesen drei Phasen jedoch als gundlegendste die Taktile Phase im Alter von 0-1 Jahr voran.
Prof. Gieler stellt in seinem Vortrag die 9 Funktionen des Haut-Ichs nach Anzieu vor, die noch einmal verdeutlichen, dass die Haut nicht nur physische Bedeutung hat, sondern auch psychische.
Dass der Hautkontakt als Stimulation im Säuglingsalter sogar lebenswichtig sein kann, zeigt ein Experiment des Ehepaars Harlow von 1954. In diesem Experiment wurden Rhesusäffchen von ihrer Mutter getrennt. Die Äffchen wurden in einen Käfig mit einer Futter-spendenden Mutter-Kuschel-Attrappe und einer mit Stoff bezogenen Mutter-Attrappe gesetzt. Das Ergebnis war, dass die Äffchen sich hauptsächlich bei der Mutter-Kuschel-Attrappe aufhielten.
Den Zusammenhang von Tastsinn und Emotionen zeigt zum Beispiel die Gänsehaut und auch eine Studie zur Häufigkeit von Selbstberührung. Weniger Berührung sei assoziiert mit Depression und Hautkrankheiten.
Haut = Spiegel der Psyche!
FE nach dem Vortrag
Michael Utech
Es wird angemerkt, dass Berührung auch außerphysisch sein kann. Zum Beispiel durch Gestik oder Worte.
Das Plenum wird dazu eingeladen, dem Kreislauf des E m p f i n d e n s, dann erst des F ü h l e n s, der im Alltag automatisch abläuft, b e w u s s t n a c h z u s p ür e n, indem man selbst mit der einen Hand die andere eigene Hand drückt. Hier können wir die Selbstreflexivität dieses Vorgangs erkennen: Wir sind Fühler und Gefühlte gleichzeitig.
Danach spüren wir dem Spannungsfeld der Labilität und Stabilität nach, indem jeder, der möchte, von seinem Sitzplatz aufsteht und zuerst mit waagerecht ausgestreckten Armen auf der Stelle läuft und danach auf einem Bein stehend das andere anhebt: Stabilität sichert gegen Labilität ab, aber ermöglicht sie auch, sodass wir uns bewegen können.
09:50 Uhr
Diskussion zum Vortrag
Als erstes merkt Prof. Dr. Marcel Martin (Theologe) zum Vergleich des „ungläubigen Thomas“ an, dass dieser zwar die Möglichkeit hatte, den Finger in die Wunde Christi zu legen, es letztendlich jedoch nicht getan hat.
Als zweites teilt Dr. med. Roland Koch seine Gedanken zur Telemedizin. Es fällt ihm ein Spannungsfeld zwischen Grenzen und Entgrenzung auf.
Die Situation des Kontaktverbotes bringt ein „nicht berühren dürfen und können“ mit sich. In diesem Zusammenhang wird die Fantasie von der Berührung auch als etwas Sexuelles benannt.
Danach antwortet Herr Gieler auf die Anmerkungen zur Telemedizin. Er sagt, dabei sei keine Erfassung des Menschen, sondern nur des Symptoms (z.B. Leberfleck) möglich. Es würde jedoch sogar schon versucht, schizophrene Patienten telemedizinisch zu behandeln. Das habe allerdings auch seine Grenzen: Akute Suizidalität lasse sich auf diese Art nicht behandeln.
Herr Gisbert Müller geht auf die Funktion der Haut als Spiegel der Seele ein: Er spüre eine durch die Corona-Situation ausgelöste Spannung sogar bis in die Familie hinein, die sich häufig auch in Hautreaktionen wie Allergien auslösen könne.
Frau Dr. Felicita Heidler fügt hinzu, dass es sich tatsächlich aufs Immunsystem auswirken könne, wenn man sich nicht wohlfühle. Sie merkt außerdem an, dass auch ihr Umarmungen und der Kontakt mit anderen Menschen zum Beispiel an der Arbeit fehlen.
Herr Utech merkt an, dass ihm kürzlich eine Trauerfeier als eine sehr existentielle Situation aufgefallen sei, bei der den Anwesenden die Abstandsregeln egal waren. Es wurde sich umarmt und so Trost gespendet. Der gesellschaftliche Konsens der Regeln wurde also an dieser Stelle im Konsens der Trauergemeinde gebrochen.
Auch berichtet Herr Utech von einer virtuellen Art des Kontakts der durch Corona in seiner Familie stark zugenommen habe: der Whats-App-Gruppe. Neben dem positiven Austausch kam es jedoch dazu, dass ein Familienmitglied in dieser Gruppe Verschwörungstheorien verbreitete und so einen Streit um die Wahrheit auslöste. Telefonisch suchte Herr Utech den Kontakt mit dem Familienmitglied, um sich mit ihm auszutauschen und um es zu ermöglichen, dass im gegenseitigen Respekt ein V e r s t ä n d n i s für die jeweils konträre Meinung, ohne sie gutheißen zu müssen, hergestellt wird. Ein solches Vorgehen der Handhabbarkeit differierender Ansichten hält Herr Utech nicht nur für die derzeitige Corona-Situation für wichtig.
10:20 Uhr
Gesundheitsgespräch (im virtuellen Plenum)
Dr. med. Roland Koch: studierte Medizin in Marburg, Facharzt für Allgemeinmedizin, nun Stellvertretender Ärztlicher Direktor und Leitung des Bereichs Lehre an der Universität Tübingen
Dr. med. Silvia Hewel-Hildebrand: Fachärztin für Allgemeinmedizin, Diabetologische Schwerpunktpraxis in Marburg
Frau Tanja Tosic: Fachärztin für Allgemeinmedizin, Gemeinschaftspraxis in Kassel
Anders als bisher beim Marburger Gesundheitsgespräch üblich spielt das Gespräch sich diesmal als „Trialog“ anstatt als Dialog ab. Herr Schüffel kommentiert:
„Am 25. und 26. April 2020 (17. Kalenderwoche; 5. Woche des 40er-Chats „Corona-Zeit“), spielte sich eine wichtige Kommunikation zwischen Mitgliedern zweier Balintgruppen/Bewegenden Seminaren in Kassel und Marburg ab. Beide Gruppen werden von mir geleitet und sind von der LÄK zertifiziert. Die Kasseler Gruppe reicht in das Jahr 1979, die Marburger Gruppe in das Jahr 1977 zurück. Beide Gruppen finden vierwöchig zu je vier Sitzungsstunden statt (mit 8 Punkten zertifiziert) und sind bisher ohne Unterbrechung abgelaufen, d. h. seit 43 bzw. 41 Jahren. – Frau Tosic (Kassel) hatte ein Kurzprotokoll der von mir geleiteten Sitzung geschrieben. Sie hatte ihr Protokoll in unseren so bezeichneten „40er Chat Corona“ eingegeben. Bereits wenige Stunden später hatte Frau Dr. Hewel-Hildebrand aus Marburg anerkennend zurückgemeldet, wie wohltuend sie den Beitrag von Frau Tosic empfinde. Das Erstaunliche war und bleibt bis heute: Die Ärztinnen kannten sich bis dahin nicht. Bis zum 09. Mai blieb es der einzige Kommentar innerhalb des Chats. – Das Thema des Chats: „Echt-reale und Fake-Bedrohung und Lösungsschritte in der Corona-Zeit.“
Ich betrachtete diesen Austausch zweier erfahrener Hausärztinnen auf dem Boden eines psychosomatischen Grundverständnisses als Glücksfall. Ich bat beide Damen um ihre Zustimmung, ihren Austausch am 09. Mai als eine Art „Befreiung am Befreiungstag und am Tag des Grundgesetzes“einzubringen.
Wie in den bisherigen Gesundheitsgesprächen würde auch diesmal die Frage lauten: „Wie halte ich mich gesund – besonders in Zeiten von Corona“.
Prof. Schüffel betont vorab das Geschlechterverhältnis und möchte, dass sich die beiden Frauen, die jeweils 2 Kinder haben und alleinerziehend sind, miteinander unterhalten und Herr Koch dann als selbständiger Mann und Vater dreier Kinder dazu Stellung nimmt. Die drei Gesprächspartner, besonders Herr Koch, lehnen dies jedoch ab und beginnen ihr Gespräch zu dritt.
Frau Hildebrand spricht als erstes die Situation ihrer diabetologischen Patienten an, die häufig polyneurologische Schmerzen verspüren würden. Da sei jedoch eine Schranke der Empfindungen nach außen.
Nun übernimmt Herr Koch das Wort und erläutert, dass er im Umgang mit der Situation während der Corona Pandemie 3 Phasen erkannt habe:
- Bremsen, Innehalten, Erstarren, Angst: Er wolle in dieser Zeit mit seinen Kindern zu Hause sein und das tue er auch, während seine Frau in der Praxis arbeite.
- Grenzen vs. Entgrenzung: Besonders sein kleiner Sohn verstehe noch nicht, dass sein Vater trotz der Anwesenheit zu Hause noch arbeiten müsse. Das Konzept des Homeoffice führe dazu, dass nun mehr Konflikte mit den Kindern ausgetragen werden müssten. Herr Koch betont jedoch, dass er dies im positiven Sinne meine. Es helfe dabei, Regeln auszuloten. Die Kinder fingen an, sich auch mal selbst zu beschäftigen und Grenzen zu akzeptieren.
- Trotz gegenüber den Regeln und der Kontaktverbots-Situation: Die Leute begännen mit den Grenzen zu spielen. Hier verweist Herr Koch auch auf Herrn Schüffel.
Frau Hildebrand stimmt zu, dass auch sie die Panik ihrer Patienten angesichts der Situation wahrgenommen habe. Ihr jedoch tue die Corona-Zeit gut, da die Regeln zum Infektionsschutz den Patientenfluss entzerren und ihr so mehr Zeit mit den einzelnen Patienten verschaffen, was sie sich schon länger wünsche und durch Überstunden erkaufe. Durch die Plexiglasscheibe und die Vermummung mit der Atemschutz-Maske, die die Regeln ebenfalls vorschreiben, fehle den Patienten jedoch die Nähe des vollständigen Sehens. Daraufhin entgegnet Frau Tosic, dass sie keine Maske trage, es sei denn der Patient wünsche es explizit. Während zu Beginn eher wenige der Patienten mit Maske erschienen seien, trüge nun jedoch die Mehrheit von ihnen beim Hereinkommen eine Maske. Sie würde das jetzt so handhaben, dass sie sich einfach mit jedem einzelnen Patienten abspräche und ihm die Wahl lasse, ob er die Maske tagen möchte oder nicht. Es gäbe auf ihr Nachfragen zwei Reaktionen: Einige reagierten ganz neutral und sagten, es sei OK für sie, die Maske zu tragen. Andere hingegen reagierten mit Erleichterung und rissen sich sofort die Maske vom Gesicht. Einige hätten dabei sogar wie ein Fisch nach Luft geschnappt. Dieser Prozess des Maske mit den Händen herunter Reißens, gewähre sogar nochmal eine tiefere therapeutischen Erkenntnis, sagt Frau Tosic.
Frau Hildebrand berichtet, dass ihre Patienten eher befremdlich reagieren, wenn sie keine Maske trägt. Die Maske und das Wahren von Distanz würden also durchaus als Schutz wahrgenommen und nicht nur als Einschränkung. Trotz Maske sei es den Patienten jedoch wichtig, erkannt zu werden.
Herr Koch geht nun auf den Zusammenhang der Wörter „Haut“ und „Haus“ ein: Sich zu Hause befinden gibt dem Menschen Sicherheit und Wohlgefühl. Er gesteht, dass es auch bei ihm ein Spiel mit der Maske sei, wenn er sein Haus verlassen müsse, um mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit 1,5 Stunden nach Tübingen zu pendeln. Einerseits sei der Dang da die Maske herunterzunehmen und den Mund zu bewegen, da unter der Maske alles klebrig und eklig werde, andererseits rege man sich auf über die Leute, die keine Maske tragen.
Nun kommt Herr Kochs Sohn ins Bild und zeigt das Bild eines Hasen in die Kamera, was kurz den Fluss des Gesprächs unterbricht, aber auch allseits für Fröhlichkeit sorgt.
Danach fährt Herr Koch mit seinem Bericht über das zur Arbeit-Pendeln fort. Jemand habe sich vor den Zug geworfen und somit den Schienenverkehr lahmgelegt, woraufhin alle Fahrgäste in überfüllten Bussen nach Hause gebracht wurden. Die kleine Unterbrechung durch Herr Kochs Sohn und der im vollgepackten Bus unmöglich zu haltende Abstand zeigt: Die Regeln werden durch die Realität ad absurdum geführt. Es wird mit den Regeln sowie mit der Maske gespielt, wobei sich auch ein Beigeschmack des Trotzes gegen sie Regeln erkennen lässt. So sagt Herr Koch zum Beispiel, dass er überlegt habe, seine Familie auf einen Ausflug zu schicken, um bei der Videokonferenz ungestört zu sein, er habe sich aber bewusst trotzig dagegen entschieden.
Frau Hildebrand spricht den Aspekt an, dass das Tragen einer Maske auch als Solidarität gesehen werden kann. Ihr sei eine regelrechte Maskenflut aufgefallen und dass sich zum Beispiel Leute gegenseitig Masken schenken, die teilweise sogar kreativ gestaltet seien.
Frau Tosic wiederholt, dass sie es wichtig findet, mit den Patienten das Tragen oder Nichttragen der Maske zu thematisieren und ihnen diesbezüglich die Freiheit zu geben, nach ihrer eigenen Wahrheit zu handeln. Sie fühle sich betroffen von der Unsicherheit der Patienten und möchte, indem sie das Gespräch zum Thema Masken sucht, dem Vertrauensvorschuss gerecht werden, den ein Arzt von seinen Patienten erhält.
Roland Koch wirft ein, dass es beim Tragen der Maske doch auch um Selbstschutz gehe. Er sagt, dass er zwar selbst nicht in der Praxis tätig sei, das Thema Hygienevorschriften in der Lehre jedoch für seine Studenten mitdenken müsse.
Darauf antwortet Tanja Tosic, dass man sich ja vor Corona als Arzt auch nicht geschützt habe. Sie persönlich verspüre keine größeren Sorgen ums sich als bei anderen Viren und ist der Meinung, das dieses Risiko Teil des ärztlichen Berufes sei. Außerdem sagt sie, dass sie wenig Sterillium benutze, sondern eher das Waschen der Hände mit Seife sinnvoll fände und praktiziere.
Silvia Hildebrand hingegen betont, sie wolle kein Verteiler des Virus sein und durch das Tragen einer Maske sich selbst und ihre Umwelt schützen. In diesem Zusammenhang spricht Herr Koch den Balanceakt an, dem sich ein hausärztlich tätiger Arzt aussetzt: Einerseits sei ein Hausarzt Unternehmer. Er sei andererseits für andere da, müsse aber auch gleichzeitig sich selbst und seine Familie schützen. Ein weiterer Aspekt sei, dass er für viele Menschen auf bestimmte Weise auch Repräsentant der Ärzteschaft und des Gesundheitssystems sei und so Zielscheibe von Verschwörungstheorien werden könne. Frau Hildebrand fügt nun noch hinzu, dass sie im Tragen der Masken vor Allem auch einen Schutz der Arzthelferinnen sehe, der ihr sehr wichtig sei, weil diese an der Front ständen und als erstes mit allen Patienten in Kontakt kämen.
Diese Einschränkungen, die zum Schutz dienen, würden auch Entlastung mit sich bringen, sagt Frau Hildebrand nun. Sie fühle sich durch die Einschränkungen wegen der Pandemie im positiven Sinne auf sich selbst zurück geworfen. Sie habe Termine reduziert, und Zeit gewonnen, könne sich jetzt mehr auf das Wesentliche konzentrieren. Sie spricht an, dass man in unserer Gesellschaft häufig nur durch Arbeit oder Hobbys als existent anerkannt wird, was auf eine gewisse Weise (besonders für Kinder) toxisch sei. Durch Corona sei dieser Leistungszwang zurückgeschraubt worden.
Nun unterbricht Prof. Schüffel das Gespräch. Ihm ist aufgefallen, dass ein Drittel der Teilnehmer der Zoom-Konferenz nicht mit ihrem Video zu sehen sind. Er zeigt sich empört und sagt, er fände das Ausschalten der Kamera seitens einiger Teilnehmer schade, da wir alle im gleichen Boot säßen. Er besteht darauf, dass die Öffentlichkeit intern hergestellt sein soll. Jemand aus dem Plenum schaltet sich ein und fragt, ob wir den Umstand, dass einige ihr Bild nicht zeigen können oder möchten, nicht einfach akzeptieren können, so wie die Bevölkerung zur Zeit auch beginnt, das Tragen der Schutzmasken zu akzeptieren. Roland Koch fordert auch dazu auf, diese Diskussion auf später zu verschieben und zum Gesundheitsgespräch zurückzukehren.
Nun geht das Gespräch zwischen den drei Ärzten/Ärztinnen weiter. Tanja Tosic ergreift das Wort und merkt an, dass das zuvor erwähnte Zurückgeworfen sein auf sich selbst auch bedeutet beim Krankschreibungszeitraum mehr auf den eigenen Körper zu achten. Darauf fragt Herr Koch, ob den im Zeitraum der Corona-Pandemie jemand der Gesprächspartner krank geworden sei. Frau Tosic antwortet sofort, sie sei zwar nicht körperlich erkrankt, habe sich aber aufgrund der psychischen Belastung eine Woche krankschreiben lassen. Herr Koch wirft ein, dass das ja auch völlig legitim sei: Krankheitsgefühl müsse auch als Krankheit anerkannt werden, wenn es keine körperliche Grundlage dafür gibt. Frau Hildebrand gibt Auskunft, dass sie in der letzten Zeit nicht krank gewesen sei und Herr Koch sagt, dass bei ihm tatsächlich die zuvor erwähnten Hautprobleme in Form einer Allergie aufgetreten seien.
Den Abschluss des Gespräches einleitend fragt Frau Hildebrand Herrn Koch, wie er die ganze derzeitige Situation empfinde. Dieser fasst zusammen, dass er eine deutliche Entwicklung innerhalb seiner Familie bemerkt habe, es seien Grenzen ausgelotet und entwickelt worden. Im Gegensatz dazu, dass der Kontakt zu Freunden und auch zu den eigenen Eltern zur Zeit nicht möglich sei, käme ihm sein „zu Hause“ samt Garten noch mehr vor wie ein Refugium, indem keine Grenzen gelten und der ein Ort der Intimität für die Familie ist. Er wiederholt, dass er Corona auch als Chance für ein Weiterkommen als Familien-Organ und -System sieht. Allerdings würden seine Kinder den Kontakt zu anderen Kindern vermissen, weshalb er Wut über die Regelungen zu Corona innerhalb der Schule verspüre.
Frau Hildebrand sagt, es ginge auch ums Prioritäten abwägen und das Pflegen des inneren Ausgleichs, was im Arztberuf oft schwerfalle. Frau Tosic fügt hinzu, dass besonders die Taktung der Sprechstunde Zeitdruck schaffe. Dieser habe während der Corona-Pandemie durch entsprechende Regelungen nachgelassen. Sie wolle nicht hinter Richtlinien maskiert sein und einen geschützten Raum für ihre Patienten schaffen.
11:00 Uhr
Pause
Die Diskussion über die ausgemachten Kameras, die Herr Schüffel während des Gesundheitsgesprächs begonnen hatte, wird nun von einigen Teilnehmern wieder aufgenommen. Herr Schüffel stellt den Vorwurf in den Raum, dass es an Voyeurismus grenze, bei der Zoom Konferenz mitzuhören und zuzuschauen, aber sein eigenes Bild nicht zu zeigen. Ein anderer Teilnehmer hält dem entgegen, dass aus diesem Vorwurf und der Forderung, dass alle ihr Bild zeigen, auch der Wunsch nach Kontrolle über alle Teilnehmer zu lesen sei.
Lena Heitfeld äußert diesbezüglich, dass die Teilnahme an der Veranstaltung und auch das Zeigen des eigenen Bildes immer noch freiwillig sind. Sie merkt an, dass es zudem einigen Teilnehmer aus technischen Gründen, oder weil sie nebenher arbeiten bzw. in der Uni sind gar nicht möglich sei, mit Video an der Konferenz teilzunehmen.
An dieser Stelle macht Herr Koch auf die Unzulässigkeit dessen aufmerksam, dass die Zoom-Konferenz samt Video ohne vorher eingeholte Zustimmung aufgezeichnet wird. Daraufhin wird die Aufzeichnung abgebrochen und versichert, dass das aufgenommene Material gelöscht wird.
Protokollantin 2. Teil: stud. med. Denise Lück
11:20
Reflexion des Gesundheitsgesprächs
Die Reflektion des Gesundheitsgesprächs wird unter Leitung der Moderatoren nach den vier Gesichtspunkten „Bewegen, Beschweren, Bedeuten und Besinnen“ im Plenum durchgeführt.
Bewegen (moderiert durch stud. med. Martha Langer)
Zuerst weist Frau Langer daraufhin, dass Bewegen der erste Teil der Reflektion ist und als etwas physisches, eine Körperbewegung zu verstehen ist, die jedoch in diesem Format der online Konferenz sehr schlecht einsehbar ist. Somit könne auch die Mimik, als Bewegung im Gesicht, als physische Bewegung gesehen werden, welche natürlich auch eine psychische Bewegung zum Ausdruck bringt. Sie fragt daraufhin, was das Plenum beim Gesundheitsgespräch bewegt hat und ob man einen Drang der inneren Bewegtheit oder der körperlichen Bewegung verspürte. In einer ersten Wortmeldung wird angesprochen, dass eine innere Bewegtheit, gar eine körperliche Bedrücktheit verspürt wurde, als die Ärztin Hewel-Hildebrandt sagte, dass Sie mit dem Tragen der Maske ihre Patienten besser schützen könne. In einer weiteren Wortmeldung wurde kundgetan, dass ihr während des GG kalt geworden wäre, da die gesamte Zeit Eckpositionen im Umgang mit den Patienten vertreten wurden, diese jedoch bestehen blieben und nicht geklärt werden konnten. Daraufhin äußert Sie, dass im Falle von Covid-19 sich das Bewegen in der Frage „wie gehe ich mit Covid um und verlasse ich das Haus?“ versteckt. Und, dass es für einen persönlich wichtig ist, das Haus zu verlassen.
Als nächstes wurde auf eine Grenzverschiebung aufmerksam gemacht und angemerkt, dass man den Patienten dort abholen muss, wo er in der für ihn kontrolllosen Situation steht. Man sich aber Gedanken darüber macht, ob der Abstand zum Patienten reicht, um sich selbst aber auch den Patienten vor einer möglichen Ansteckung zu schützen. Der Mundschutz wird daraufhin als eine Erweiterung der eigenen Grenzen gesehen.
Auch wird die momentane Situation als ein stopandgo, ein Atemanhalten gesehen und dass man den Auftrag des Fremdschutzes von der Gesellschaft bekam. Gleichzeitig schafft es aber neue Räume, in denen mitgehen, mitschwingen, innehalten und die Grenzen sehen als ein Spannungsfeld zueinanderstehen. Eine weitere Person gibt an, durch das Gesundheitsgespräch Aggressionen verspürt zu haben, die sich dann in einer Kühle spürbar gemacht hätten. In einer letzten Wortmeldung zu dem Punkt bewegen teilte jemand mit, dass sie bewegt von der Auseinandersetzung der Ärzte mit dem eigenen Tun und Handeln war und ihr warm wurde. Auch wurde zitiert, dass die Regeln keine Wahrheit darstellen, sondern dem eigenen Schutz dienen.
Einschub: Bericht von Frau Yang aus China
Als kleiner Einschub wurde ein Gast aus China hinzugeschaltet, Frau Yang. Diese erzählte davon, dass sie seit einem Monat wieder in China ist und diesen fast vollständig in Quarantäne verbringen musste, obwohl sie nicht erkrankt ist und deswegen erst jetzt zu ihrer Familie konnte. Zuvor war sie in Marburg und hat während der Corona-Zeit eine Veränderung wahrnehmen müssen. In Deutschland sei die Lage um das Virus im Vergleich zu China sehr entspannt und stabil gewesen aber leider musste sie feststellen, dass mit ihr als Chinesin in Deutschland doch unfreundlicher umgegangen wurde. Sie berichtete, dass sie gemieden ja gar geächtet wurde, und sie somit einen unschönen ersten Kontakt mit Deutschland machen musste. Auch beklagt sie, dass man hier anfangs so locker mit dem Virus umgegangen ist, obwohl in China die Lage so angespannt war. Frau Heitfeld (stud. med.), eine Frau aus dem Plenum, ist Frau Yangs Mitbewohnerin in Marburg zu der Zeit gewesen und berichtete, dass sie es als sehr beschwerend fand, dass so mit Frau Yang umgegangen wurde und versucht hat mit gemeinsamen Aktivitäten, wie kochen, Frau Yang beizustehen und Freude zu vermitteln. Frau Heitfeld machte daraufhin auf das Buch Momo aufmerksam, was sie Frau Yang schenkte. In diesem wird das Zuhören als eine Kunst beschrieben, die, wenn sie mit offenen Herzen und Sinnen geschieht, heilen kann.
Beschweren (moderiert durch Dr. med. Felicita Heidler)
Dem Wort „Beschweren“ wurde in einer ersten Wortmeldung das Kältegefühl zugeordnet, was schon beim „Bewegen“ gefallen war. Als nächstes wurde wieder auf das Tragen der Maske eingegangen und dass diese beschwerend wirkt, wobei dann das Abreißen der Maske als eine Befreiung angesehen wird. Also einem guten Gefühl und der Möglichkeit des Atmens, die daraufhin nicht mehr beschränkt, beschwert wird. Auch wurde von den Ärzten angesprochen, dass es einige Patienten gibt, für die das Tragen der Maske so beschwerend ist, dass sie sich von ihnen bescheinigen lassen, keine Maske tragen zu müssen. Dies liegt teils an chronischen Erkrankungen, die schon das Atmen erschweren oder aber auch an Angststörungen, die durch diese Bitten diagnostiziert werden konnten. Als beschwerend wurde während des Gesundheitsgesprächs außerdem aufgenommen, dass es sehr schwer ist, den Körper online mit zu involvieren, denn der Körper wird „abgeschnitten“, wodurch eine Unverbundenheit entstand. In Betracht auf die Patientenversorgung fiel außerdem auf, dass die Patienten momentan seltener Beschwerden wie Rückenschmerzen oder Alltagsbeschwerden äußeren. Dadurch ist allgemein ein Rückgang in der Zahl der Arztbesuche zu verzeichnen.
Bedeuten (moderiert durch stud. med. Jana Springob und Dr. med. Andreas See)
In der ersten Wortmeldung wird erwähnt, dass, bezogen auf Corona, ein Zusammenziehen stattgefunden hat. Sowohl in sich, in der Familie und in den Nachrichten. Corona bedeutet aber auch, dass man eine neue Freizeit hat, eine neue Zeit und sich somit aus der Krise etwas ganz Neues entwickelt. In den Praxen bedeutet es, dass man mehr Zeit für die Patienten hat aber auch mehr Zeit für Papierarbeit, die sonst liegen bleibt. Ein nächster berichtet, dass es für ihn zweifach deutlich wird. Zum einen in den Erzählungen von Frau Yang, dass das Virus in Deutschland anfangs im Vergleich zu China so abgetan wurde. Dies hängt aber damit zusammen, dass es in Deutschland zu Beginn eine andere Bedeutung hatte und man es zuerst nur in der Ferne sah. Dies zeigt also, dass die Wahrnehmung von etwas unterschiedlich sein kann, je nachdem, woher man stammt. Zum anderen wurde für ihn das „Bedeuten“ in der Thematik der Masken bewusst. So kann das Tragen, beziehungsweise das nicht Tragen als ein Statement gesehen werden. Auch wieder abhängig davon ist, welchen Standpunkt man gegenüber der Gefährlichkeit des Virus vertritt. Deutlich aus beiden Deutungen wird, dass jeder Mensch seine eigene Wahrheit für sich hat und diese in Abhängigkeit zu der eigenen Meinung steht.
Zudem wurde in einer weiteren Meldung auf die Bedeutung des Virus und den eigenen Standpunkt eingegangen. Außerdem darauf, dass das Virus keine Grenzen kennt und das Gesundheit ubiquitär und individuell gedeutet wird. Nun wird auch auf das Land Schweden und seinen Umgang mit dem Virus eingegangen. Hier scheint die Wirtschaft wichtiger als die Gesundheit zu sein, heißt es in der Wortmeldung. Jemand weiteres merkt an, dass in Schweden viel an die Eigenverantwortung des Volks plädiert wird, dies aber in Deutschland aufgrund der höheren Einwohnerzahl nicht möglich wäre.
In der nächsten Meldung wurde berichtet, dass die Maske unsere Leben, wie durch eine getönte Brille erscheinen lässt, woraufhin dazu kam, dass durch die Masken in der Wirklichkeit Brillen beschlagen und somit die Maske unsere Sicht verschlechtert. Frau Rost merkte an, dass die Einschränkungen schlimm für sie waren, da dies die Bedeutung der Erinnerung hatte und zwar an DDR-Zeiten und somit die Einschränkungen jener Zeit.
Besinnen (moderiert durch Frau Dr. med. Regina Adam)
Als erstes wird genannt, dass es demokratisch wäre, momentan durch Einsicht zu einem bestimmten Handeln zu gelangen, dass es aber den Menschen einfacher fällt, Regeln zu befolgen. Daraufhin wurde die Frage gestellt, wie wir in Deutschland in diesem Zusammenhang reagieren. In einer ersten Meldung dazu kommt zum Vorschein, dass es vor allem für die Junge Generation schwer ist, ohne Regeln solch eine Situation zu meistern, da solch eine Situation noch nicht durchlebt wurde und somit das Bewusstsein für die Gefahr fehlt. Andere merken an, dass sie sich zwar durch die Regeln eingeschränkt fühlen, sich aber regelkonform verhalten, da irgendwo Grenzen gezogen werden müssen und die Menschen in Deutschland ohne Regeln verzweifelt wären. Man kommt zu dem Entschluss, dass eine gewisse Ordnung für alle Menschen wichtig ist und man aber gleichzeitig auch kritisch und verständnisvoll gegenüber neuen Regelungen sein soll. Außerdem sollte man sich „besinnen“ und eine gewisse Gelassenheit mit in die zu betrachtende Situation nehmen. Eine weitere Wortmeldung aus dem Plenum merkte an, dass es für ihn momentan drei verschiedene Punkte gibt. Zum einen das Humorvolle zu betrachten und zu schauen, was in Deutschland und in anderen Ländern passiert, wie zum Beispiel die Klopapierknappheit. Des Weiteren aber zu bemerken, dass das Virus hoch kontagiös ist und man versuchen muss, mit der Situation adäquat und realistisch umzugehen. Als drittes ist ihm noch die persönliche Ebene wichtig. Denn man ist eingeschränkt, und es ist eine Herausforderung während der Corona-Zeit Entscheidungen zu fällen. Denn es ist schwer, die Situation im täglichen Alltag richtig einzuschätzen und die Nähe zu anderen zu wahren. Auch muss man daran denken, was neben den wirtschaftlichen Folgen noch für gesundheitliche Kollateralschäden entstehen, wie psychische Erkrankungen.
Zusammenfassend stehen drei Aussagen beziehungsweise Fragen, die im Raum offenstehen gelassen wurden.
„Darf ich raus oder muss ich raus? Die Absprache mit dem Patienten ist sehr bedeutsam. Was ist in jedem Fall nötig und sinnvoll?“
Von Frau Dr. Sigrid Splettsen wurde nachgereicht: Parabel des Trialoges. Sie ist eine Weiterentwicklung der Parabel des Gesundheitsgespräches (Schüffel, Atmanspacher), die aus den Wartburggesprächen übernommen und in den Marburger Gesundheitsgesprächen 1 bis 4 eingesetzt worden war (s. Attachment).
Funktionelle Entspannung
Nach den Reflexionen übernimmt Frau Rost und bittet Herrn Koch, einmal diese funktionelle Einheit mit ihm durchzuführen. Er soll noch einmal in sich spüren und seinen Impulsen nachgeben und nachspüren, was in ihm vorgeht. Daraufhin werden alle einmal angehalten, an etwas Schönes zu denken und gemeinsam zu lachen. Mit diesem gemeinsamen Lachen und einem Zitat aus Momo wird sich in die Mittagspause verabschiedet.
Der Nachmittag, 13.50 bis 17.00h
Den Vorsitz übernimmt Frau Dr. Regina Adam, Anästhesistin, Co-Direktorin Gynäkologische Gynäkologische Tagesklinik Kassel, Brandenburgische Str. 5, Kassel
Vortrag Herr Schüffel
Nach der Mittagspause folgte ein Vortrag von Professor Schüffel. Herr Schüffel stellte zuerst die Frage, wie das Plenum denkt, der Vortrag aufgebaut sei, wenn man bedenkt, dass vor genau 75 Jahren die Befreiung von der Nazidiktatur stattfand?
Im Sinne vom Bewegen zum Besinnen geht das Plenum davon aus, dass er Ereignisse der Diktatur und andere historische Ereignisse auf die Corona-Zeit bezieht und das Plenum schildern soll, was daran bewegt, beschwert, bedeutet und besinnt.
Herr Schüffel stimmt den Vermutungen zu und erwähnt, dass es ihm insbesondere um den Vergleich zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft (in 25 Jahren) geht. Die Zeit dient als Faden und man solle sich darauf einlassen. In seinem Vortrag wendet er sich nun an eins der Kinder, die beim diesjährigen Gesundheitsgespräch mit dabei waren. Er sagt, dass Michelangelo in einem seiner Bilder zeigt, wie ein Finger auf den Menschen weist und somit zeigt, dass man lebendig ist und atmen kann. Er berichtet zudem, dass Michelangelo damals im Petersdom vom Papst Leo X gefragt wurde, wie er aus einem Marmorblock „la Pieta“ geschaffen hat. Seine Antwort darauf lautete, dass er sie befreit hätte.
Auch wir Menschen, so Herr Schüffel, suchen alle nach der Befreiung oder nach jemandem, der uns befreien kann. Auch der Arzt fragt den Patienten immer wieder, was ihn bewegt und wie es ihm geht, damit er ihn befreien kann.
Als nächstes ging er auf die Begrifflichkeiten „SocialDistancing“ und „Systemrelevanz“ ein. Er betonte, dass wir uns gegenseitig liebhaben wollen und umarmen wollen aber dies zur momentanen Zeit nur schwer zu zeigen ist. Es gibt aber Berufe, wie den Beruf des Arztes, wo die Berührung nötig, wichtig, sogar unerlässlich ist. Dadurch kommt die Frage auf, in welchem Rahmen es erlaubt ist und in welchem nicht. In diesem Punkt gehen die Meinungen von Ärzten stark auseinander aber Herr Schüffel betont, dass es kein richtig oder falsch bei dieser Entscheidung gibt, solange man sich mit den Betreffenden abgesprochen hat. Er berichtet von eigenen Situationen, bei denen Treffen für ihn nötig waren in der letzten Zeit und nur unter erschwerten Bedingungen durchgeführt werden konnten, aber immer mit der Zustimmung von allen Beteiligten. Er beschrieb, wie das Virus und die Angst der Menschen ineinander verschwimmen. Schon in der pränatalen Zeit findet eine gewaltige Entwicklung statt. Mit dem 42. Tag fangen wir an mit der Haut zu spüren, zu empfinden und am 56. Tag beginnt unser Herz zu schlagen. Somit geht das Empfinden von außen immer tiefer in uns hinein und später wieder hinaus. Er geht darüber darauf ein, wie wichtig es ist, in der Gesellschaft die Mütter während der Schwangerschaft zu fördern und ins Grundgesetz eine „sichere Geburt“ mit aufnehmen. Denn was wir im Leib der Mutter lernen, ist die Grundlage und das, was man erlebt kann man erst beschreiben, wenn man draußen ist, denn dafür ist Luft notwendig. Beim Austritt aus dem Leib fängt man an, selbstständig zu atmen, und der Übergang aus dem Leib ist der Schritt in die Eigenversorgung und somit wohl der wichtigste Schritt in unserem Leben, so Herr Schüffel.
Wie ist jedoch eine sichere Geburt zu realisieren? Zur momentanen Zeit, zu Zeiten von Corona kommen Kinder in Angst auf die Welt und diese Angst kann nur in einem geschützten Raum verschwinden. Es ist systemrelevant, dass man sich sicher fühlt, ob bei der Geburt oder später im Leben, wie zum Beispiel bei einem Treffen zur momentanen Zeit. Aber auch das Treffen an sich und der persönliche Kontakt sind systemrelevant. Jeder muss also für sich selbst entscheiden, was er persönlich für angemessen hält und das dann aber auch machen. Dazu will Herr Schüffel das Plenum am Ende seines Vortrages noch einmal ermuntern. Dass jeder das tut, was er für richtig hält und sich nicht davon abbringen lässt.
Nun werden die Teilnehmer in Kleingruppen zu den Begriffen Kohärenzsinn, Vorhersehbarkeit, Handhabbarkeit und Sinnhaftigkeit unterteilt, um die Themen später im Plenum zu besprechen. Die letzten drei Begriffe sind die drei Dimensionen des Kohärenzsinnes nach A. Antonovsky.
Kleingruppen Resümee
Gruppe 1 Kohärenzsinn:
Der Kohärenzsinn wurde von der Gruppe als ein sehr modernes Konstrukt aufgefasst. Früher war er eher ein Vertrauen in Götter oder Gott und stellt jetzt eine Art Grundvertrauen dar. Dieses Grundvertrauen wird aus den Begriffen der drei anderen Gruppen Vorhersehbarkeit, Handhabbarkeit und Sinnhaftigkeit gebildet und wenn alle Begriffe im Einklang sind, dann fühlt man sich kohärent. Auch ist die Gruppe zu dem Entschluss gekommen, dass sich der Kohärenzsinn aus den positiven Grunderfahrungen durch Familie und Freunde entwickelt. Man also durch Vertrauen ein Selbstvertrauen entwickelt und dies dazu führt, dass man richtig handelt. Nun wurde noch etwas zur historischen Entstehung des Kohärenzsinn beigetragen. Und zwar ist dieser von Antonovsky begründet worden und basiert auf den Erfahrungen überlebender Frauen der Konzentrationslager. Denn wer diese überlebt hat, ohne wirklich bleibende psychische Schäden davonzutragen, der muss diesen Sinn für sich empfunden haben. Auch wurde gesagt, dass die Kohärenz der Menschen zum Frieden beiträgt.
Gruppe 2 Vorhersehbarkeit
Die zweite Gruppe hat den Begriff der Vorhersehbarkeit in vier Einheiten gegliedert. Die Innenansicht (wie nimmt jeder einzelne diese Zeit wahr), die Außenansicht (Was passiert im kulturellen Raum), die Gemeinschaft (im Wir) und das Sosein, Dasein. Zu den verschiedenen Dimensionen hat die Gruppe daraufhin Begriffe gesammelt. Und meinten, dass sie zu dem Wort WIR die wenigsten Begriffe gesammelt haben.
Unter dem Aspekt Innenansicht wurden die Wörter Rückzug, Angst/Panik, Regression, Entschleunigung, Hilfslosigkeit, innerdistancing, Kontrollverlust und ähnliche gesammelt aber auch positive Aspekte, wie das Genießen der Zeit. Als Frage für diesen Aspekt kam am Ende „Wie kann ich zu mir selbst stehen? Wo bin ich? Was beschwert mich?“ zustande. Unter dem nächsten Punkt „Außenansicht“ fielen die Begriffe hoher Gesprächsbedarf der Patienten, socialDistancing, Regeln, Ausgangssperren, Polizeipräsenz, Corona-Partys und viele weitere. Die Schlussfolgerung lautete daraufhin: „Soll der Kapitalismus an ein Ende kommen?“
Zu dem dritten Punkt kam die Gruppe zu den Worten, dass wir den Menschenverstand abgegeben haben, wir haben ein Bedürfnis nach Normalität und Kontakt. Auch zu diesem stellte die Gruppe Fragen auf. „Wo finden wir den Boden unter den Füßen, wie können wir zu uns stehen, wie können wir die gemeinsame Verantwortung tragen? Zum „Dasein“ fielen die Begriffe der Natur, Kinder, Katze, der Mond, der Frühling, der nächste kleine und der nächste kleine Schritt als punktuelles Vorgehen. Diese brachten die Gruppe zu der Frage: „Können wir uns auf das einlassen, was im Leben Sinn macht?“
Ergänzend kam von Herrn Schüffel der Einwand, dass entgegen aller Behauptung, sehr vieles auf ein WIR hinweist, denn in jeder der einzelnen Dimensionen geht es um das WIR. Es sei eine kontinuierliche Entwicklung im jetzigen Gesprächskreis über die letzten vierzig bis fünfzig Jahre abgelaufen (z. B. Anamnesegruppen, Wartburggespräche, Psychosomatische Grundversorgung, Balintgruppen und eben jetzt das Fünfte Marburger Gesundheitsgespräch). Alle diese Gruppierungen sind um das WIR bemüht. Jedoch haben wir SELBST anscheinend sehr große Schwierigkeiten, innerlich wie äußerlich zu dem WIR zustehen.
Gruppe 3 Handhabbarkeit
Die Gruppe stellte fest, dass dieser Begriff durch die Informationen und das Wissen, welches eine Person besitzt, beeinflusst wird. Doch wofür ist man persönlich in der Krise verantwortlich und kann man überhaupt dafür verantwortlich sein oder nicht? Auf die Grundfrage kam die Gruppe durch das Thema der Angst und was für Ängste Corona hervorgebracht hat und bringt, sowie die Verantwortlichkeit jeder einzelnen Person und der Masse. Ein weiterer Beitrag bringt den Versuch des Verstehens des anderen hervor und somit eine Kohärenz, ein Zusammenarbeiten herzustellen und dadurch zu lernen, mit seiner Angst umzugehen. Auch wird ein Wir dadurch befördert, dass man sieht, dass andere im Grunde die gleichen Ängste haben und man nicht alleine dasteht. Wir müssen begreifen, für den anderen zu empfinden und versuchen, den anderen zu verstehen. - Eine letzte Meldung zum Thema Handhabbarkeit fasste das Thema sehr gut zusammen. Auf die Fragen „Welche Verantwortung habe ich, welche Verantwortung kann ich tragen“, kam als Antwort, dass man seinen eigenen Raum durchatembar machen muss, dass man die Grenzen anderer beachten muss, zuhören muss, Haltung entwickeln und Stellung beziehen soll.
Gruppe 4 Sinnhaftigkeit
Zuerst hat sich diese Gruppe noch über das Tragen der Maske unterhalten. Manche sehen das Tagen als sehr kritisch an und manche haben Schwierigkeiten, damit gesundheitlich solch eine Maske zu tragen. Auch im therapeutischen und sozialen Sinn ist die Maske sehr kritisch zu sehen, da die nonverbale Kommunikation beeinflusst wird und dies den Umgang miteinander beeinflusst. Auch wurde sich über die Risikogruppen unterhalten, welche zwar geschützt werden müssen, denen man aber auch zuhören sollte. Denn diese Gruppen haben psychische Folgen aufgrund der Abgrenzung und Isolation. Es ist eine Gratwanderung zwischen Angst, Vorsicht und Bedürfnis nach Nähe, teilte die Gruppe mit. Die Nähe wird jedoch nun neu definiert und vor allem jetzt online versucht zu ersetzen; aber vielen fehlt dabei die persönliche Nähe. Als nächstes wurde sich über positive und negative Folgen der Krise unterhalten. An positiven Aspekten erwähnte die Gruppe, dass das Zusammengehörigkeitsgefühl gestärkt wird, man mehr Zeit für die Familie hat, man sich neuen kreativen Dingen widmet und auch die Umwelt durch die momentane Situation sich regenerieren kann. An negativen Aspekten kamen neben den wirtschaftlichen Folgen auch die Zunahme an häuslicher Gewalt zur Sprache und, dass vor allem den Kindern der soziale Kontakt fehlt. Zum Schluss kam die Gruppe zu der Frage, ob die Beschränkungen die Folgen wirklich wert sind und wann und wie ist wieder ein normales Leben möglich ist. Es ist somit bei vielen eine große Wehmut nach einem normalen Leben spürbar, berichtete die Gruppe.
Funktionelle Entspannung
Bevor Herr Schüffel das letzte Wort sprach, führte Frau Rost noch eine letzte funktionelle Einheit mit dem Plenum durch. In dieser machte sie darauf aufmerksam, dass das Wir wichtig ist und nun alle einmal nach innen spüren, nachspüren sollen. Sie sollten die Aufmerksamkeit zu sich selbst wenden und spüren, wo sie jetzt berührt sind, an welcher Stelle des Körpers und sich dort berühren. Sie stellt an das Plenum währenddessen die Frage, was jeder einzelne aus dem Tag mitnimmt, welche Worte und welche Geste, und inwiefern nun jeder von uns bereichert aus diesem fünften Marburger Gesundheitsgespräch hinausgeht.
Verabschiedung
Herr Schüffel bedankt sich für die funktionellen Einheiten, und dankt der Deutschen Balintgesellschaft wie dem Deutschen Kollegium für Psychosomatische Medizin (DKPM), die in der jetzigen Corona-Situation bereit waren, überregional und kurzfristig für das Fünfte Marburger Gesundheitsgespräch (5. MGG) zu werben. Mit nach „Hause“ gibt er jedem, dassman selbst an seine Fähigkeiten glauben kann und darf und sicher auch MAG und beendet damit das Gesundheitsgespräch.
Das Sechste Marburger Gesundheitsgespräch (6.MGG) wird stattfinden am 07. November 2020. - Sicherlich wird dann eine bedeutsame Diskussion zwischen den Generationen stattfinden, wie eine ganzheitliche Gesundheit unter den Umständen von Corona-Erfahrungen gestaltet werden kann. - Auskünfte: www.schueffel.eu bzw